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du hast ein tolles Buch gelesen, einen schönen Film gesehen oder kannst etwas wärmstens empfehlen? – Nur zu!

Schreiben wie...kann ich nicht, also will ich auch nicht.

Beitragvon Margit Dorfmüller » Fr 4. Nov 2022, 10:34  

Hier meine "großen" Vorbilder seit ein paar Jahren:


Zum Niederknien schreibt Lucia Berlin, die mit Geburtsnamen Lucia Brown und verheiratet u.a. Lucia Newton hieß. Je nach Ehemann und Lebenssituation.
Wieso begeistert mich ihr Schreibstil? Ich kann es nicht einmal sagen, habe lange nichts von ihr gelesen. „Was ich sonst so verpasst habe“ war mein letztes Buch von ihr. Ihre Kurzgeschichten wiederholen das ewige Thema des Kampfes einer Frau gegen Übermüdung, zu viel Arbeit, die Versorgung von vier Söhnen, mehr oder minder ganz allein, denn die Ehemänner waren fort, nahmen Drogen, lebten in der Jazzszene, deren Familienfreundlichkeit nicht gerade legendär ist.
Lucia Berlin, von Kind an nicht gesund und mit erheblichen Atemproblemen, schlug sich als Putzfrau durch, als Pflegerin und Aushilfslehrerin und gab kurz vor ihrem Tod beliebte Kurse in creative writing an der Uni in Boulder, Colorado.
Sie schreibt nicht blumig, romantisch, ausschweifend. Aber wie schreibt sie? An unspektakulären Orten, an denen auch wir uns aufhalten. Sie schreibt voller Mitgefühl – ganz ungerührt - über Liebe und Gewalt, Fremdsein und Zusammengehören, Armut und Reichtum. Sie tut das lakonisch und dezent, malt melancholische Bilder von Brüchen in Frauenleben.
Sie schreibt, obwohl sie gebrechlich und krank, alkoholabhängig, überarbeitet und arm ist – und niemals wehleidig.
Zwischendurch waren ihre wenigen Bücher unbekannt. Manche sind nicht ins Deutsche übersetzt worden. Ich möchte schreiben können wie sie, ohne diese Verzweiflung zu spüren, ohne zu leben wie sie. Ihre Beobachtungsgabe, ihre Fähigkeit, menschliches Leben konzentriert auf wenig Worte einzudampfen, die hätte ich gerne.
Aber: Ich möchte nicht mit ihr tauschen. Sie wurde nur so alt wie ich. Sie starb 2004 auf ihrem 68. Geburtstag bei Los Angeles.

Monika Helfer ist für mich ebenfalls ein Genie der Atmosphäre. Ich glaube, den Tipp habe ich Elke gegeben. Vor zwei Jahren hörte ich ein Interview mit ihr im Radio, auf Bayern 2. Von da nehme ich häufig und reichlich Anregungen und Impulse mit. So auch bei dieser Autorin aus Österreich, aus dem Bregenzerwald, die auch Theaterstücke und Hörspiele schreibt.
Ich war beeindruckt von der sanften, tiefen Stimme, die mir sehr verhalten und besonnen, aber auch ungewöhnlich sinnlich und selbstgewiss vorkam.
Ihre Bücher handeln von Liebe und ihrem Ende, von Verwicklung und Fürsorge, dem Wunsch nach einem ganz eigenen Leben und vom Scheitern, vom Verlust. Sie tut das ein wenig spiralig, mit Wiederholungen, die niemals langweilig sind. Es ist eher wie bei der Musik: sie greift ja auch immer wieder das Thema, Motiv auf. Menschen werden vor ungewöhnliche, extrem herausfordernde Situationen gestellt, integrieren in ihr Leben das Nicht-Konforme und lieben, sorgen, schreiben weiter. Es geht, mehr noch als bei Lucia Berlin, eindeutig immer um Monika Helfers Leben bzw. dem ihrer Familie, ihrer Großeltern, Eltern, Geschwister und Kinder.
Durchzogen sind die Geschichten von dem Verlust nahestehender Menschen: der Mutter, des Bruders, der eigenen Tochter. Unaushaltbarer Schmerz wird in Worte gehüllt, mit Worten auf Distanz gehalten, mit Sprache gebändigt. Ich glaube, ich habe alle Bücher von ihr gelesen und hoffe auf weitere.
Schreiben wie sie kommt mir unerreichbar vor. Sie hat etwas zu erzählen, eine ungewöhnliche Biografie. Das prägt ihre Bücher.
Ich würde mir gerne ihre unaufgeregte und dabei sinnliche Distanziertheit abschauen und ihre Fähigkeit, trotz aller privaten Mühen und Kümmernisse, dem drängenden Bedürfnis nach Schreiben uneingeschränkt nachzugehen.
Dörte Hansen, Mariana Leky – wir haben schon häufiger über sie gesprochen. An Dörte Hansen zieht mich die Stimmung des Nördlichen, Seewindgehärteten. Sie spürt und benennt wunderbar, was Menschen bewegt, was sie verbindet und trennt, was sie verbergen und was sie nicht einmal wissen wollen. Ich mag ihre reife, urteilsfreie Art. „Zur See“ habe ich mir schon zweimal gekauft und gleich wieder verschenken müssen, also noch nicht selbst gelesen.
Mariana Lekys „Kummer aller Art“ liegt neben meinem Bett. Während ich mich durch Florian Illies` “Die Liebe in Zeiten des Hasses“ wundere, schiele ich schon zu ihr hin. Sie weiß, wie Menschsein sich anfühlt und wirkt dabei ebenso mit den Jüngeren verbunden, die sich noch ins Leben hineinschleifen wie sie sich auch in die Älteren einfühlen kann. Sie vermag es wunderbar zu beschreiben, ihre Sprache liest sich lebendig und warmherzig.
Von beiden Schriftstellerinnen werde ich alles lesen, was ich in die Finger bekomme – und ich werde ihre Bücher immer wieder verschenken.
Von Elizabeth Strout habe ich auch schon genug erzählt. Es ist wunderbar, mit dieser Schriftstellerin (annähernd mein Alter) älter zu werden. Alles Scheitern, Bemühen, Durchwursteln und Gelingen ist in ihren Geschichten enthalten. Dramen ja, aber keine Effekte, keine billigen Gefühle, nicht zu viele Worte.
Die wiederkehrenden Figuren, die sich durch die unterschiedlichen Geschichten ziehen, die miteinander verwoben werden, sind plastisch und man freut sich, wieder von ihnen zu lesen.
So zum Beispiel von Olive Knitteridge, die sicher schon die siebzig überschritten hat. E. Strout hat mit ihr eine Serie geschaffen, die ich gerne rein formal nachahmen würde: Kurzgeschichten, die sich aufeinander beziehen und miteinander verflechten, in denen aus Nebenwollen Hauptfiguren werden und umgekehrt. Ich empfehle auch die Amgash-Reihe, deren letztes Buch noch nicht ins Deutsche übersetzt worden ist.
All diese Autorinnen haben etwas zu erzählen. Wie sie das machen, da kann einem schon mal der Mut schwinden. Nachahmen kann und will ich sie nicht, nicht ihren unverkennbaren Stil, nicht ihre Schreibdisziplin, nicht ihr rein strukturelles Können (es muss doch immer stimmig sein – was für ein Aufwand!). Aber ich kann mich inspirieren, berühren und mitnehmen lassen.
Wobei immer die Frage ist: braucht’s noch was Geschriebenes von mir? Eher nicht.
Vielleicht muss die Frage aber lauten: was habe ich zu erzählen? Und wie lasse ich aus den Lebensberichten Erkenntnis, Distanz, Lebenshaltung und das Verhältnis zu meinen Mitmenschen herausstrahlen?
Dann kann ich –vielleicht – etwas schaffen, das anderen erlaubt, ihre Nase in „meine Angelegenheiten“ zu stecken und für sich selbst etwas daraus zu ziehen.
Margit Dorfmüller
 
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Re: Schreiben wie...kann ich nicht, also will ich auch nicht

Beitragvon Toni » Fr 4. Nov 2022, 11:31  

Schön geschildert, Margit D.! Jazzer sind familienfeindlich, wirklich? Ich hoffe nicht, habe über die Jahre als E-Bass-Zupfer kräftig meine Freizeiten dem Jazz in seiner härtesten Gangart geopfert, also dem Free!
Familie und Freundschaften mussten dabei nicht leiden, womöglich nur die Zuhörer!
Ach ja, schreiben wie...!
In meinem inneren Ohr läuft beim Schreiben immer eine Melodie ab. Es ist nicht leicht zu erklären, aber mit Moll und Dur! Es muss halt swingen und klingen! Wenn  nicht, muss die Schere her.

Also, du schreibst es ja auch,es geht nicht um Kopien eines Werkes sondern um das Einfühlen in den Prozess des Schreibens, wobei wohl auch erst das innere Ohr den Takt vorgibt. So oder so ähnlich empfinde ich es.

Stimmts?


Gruß, Toni
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Re: Schreiben wie...kann ich nicht, also will ich auch nicht

Beitragvon Linda » Sa 5. Nov 2022, 13:32  

Hallo Toni,

dass du Schreiben mit Musik verbindest - mit Dur und Moll, rückt mich dir näher. Mich verbindet Schreiben auch mit Malerei - mit Farben, lauten und leisen, mit Kompositionen. Schreiben heißt ja nicht, Buchstaben aneinanderzufügen, Sätze zu bilden. Wenn es nicht gerade autobiographisch zugeht, versuche ich in die Haut meiner Protagonisten zu schlüpfen.

Schreiben wie... ist schwierig, für die aktuelle Aufgabe versuche ich es wie Dagmar Leupold. Bei ihr gefällt mir, wie sie beobachtet, doch ich glaube der Stil liegt mir nicht, ich versuche es einfach, mal sehen, was daraus wird.

Liebe Grüße

Linda
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Re: Schreiben wie...kann ich nicht, also will ich auch nicht

Beitragvon Toni » Sa 5. Nov 2022, 19:02  

Hi Linda,

es ist immer sehr erfrischent zu erfahren, dass man nie ganz alleine mit seinen Macken oder anders ausgedrückt, seinen Qualitäten auf der Erde herumläuft. Zur Malerei fällt mir nur ein, mich verschiedenen Stimmungen hinzugeben. Dabei wechselt sich dunkles Farbiges mit hellstem Licht ab.
Da meine "Kompositionen" nicht immer der herrschenden Mallogik entsprechen müssen, ist es oft erfreulich, dass nicht wenige im Freundeskreis gelandet sind. Free-Jazz und Impressionismus, wie nah sind die wohl miteinander verwandt?


Liebe Grüße,Toni
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Re: Schreiben wie...kann ich nicht, also will ich auch nicht

Beitragvon Linda » So 6. Nov 2022, 14:29  



"Free-Jazz und Impressionismus, wie nah sind die wohl miteinander verwandt?" - ziemlich würde ich sagen, noch mehr mit Expressionismus!

Gruß - Linda
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Re: Schreiben wie...kann ich nicht, also will ich auch nicht

Beitragvon lupola » So 6. Nov 2022, 19:06  

Hallo Margit,

gehört vielleicht nicht hierher, aber trotzdem: Bayern 2 ist auch für mich als Rheinland-Pfälzer der Sender, den ich auch immer häufiger einschalte. Wirklich interessant und informativ, so wie höchstens noch DLF-Kultur.
Elizabeth Strout habe ich auch gelesen, und ich fand Sie einfach nur Klasse. Dabei schreibt sie ohne jeden Pomp oder Bombast, in einfachen Sätzen, und drückt damit doch so wunderbar aus, was sie sagen möchte. Überhaupt glaube ich manchmal, die US-Amerikaner oder auch die Niederländer hätten es einfach "besser drauf". Da fließt die Sprache, da setzen sich die gelungensten Sätze aus den einfachsten Worten zusammen, da glaubt man fast an sowas wie einen natürlichen Schreibfluss, da wirkt nichts verkrampft oder gekünstelt.
Wobei ich nicht weiß, ob die Übersetzung  auch eine Rolle spielt.

Bei uns dagegen wirken manche Texte, beileibe nicht alle, furchtbar beladen. Gerade dann, wenn sie von Nachwuchsautoren kommen. Noch eine Pirouette, noch ein paar Adjektive, noch eine besonders wohlklingende Formulierung und immer wieder wird mit Leichtigkeit die Grenze von der gelungenen bildhaften Darstellung zum bloßen Kitsch überschritten. Möglichst perfekt soll es werden. Verdammt noch mal! 
Na ja, vielleicht bin ich zu kritisch. Letztendlich ist gut, was einem persönlich gefällt. Oder was beim Leser ankommt, je nachdem, wo man seine Priorität sieht.

Aber den "perfekten" Roman gibt es sicher genauso wenig wie DAS Schreiben, das Erfolg garantiert.

Muss es ja auch nicht. Manchmal reicht es doch, etwas zu tun, was einfach nur Spaß macht. Und denn sollte man sich nicht nehmen lassen, da sollten auch die eigenen Ambitionen nicht im Wege stehen. Meine Meinung. 

Tschüss
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Re: Schreiben wie...kann ich nicht, also will ich auch nicht

Beitragvon Toni » So 6. Nov 2022, 19:22  

Meinungen? Sind immer gut!
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Re: Schreiben wie...kann ich nicht, also will ich auch nicht

Beitragvon Margit Dorfmüller » So 6. Nov 2022, 21:33  

@lupiola: hast du einen Tipp zu den Niederländern?

Ich dachte auch immer, die Amis können es besser. Wobei: Amies! die vor allem.
Aber vielleicht hat es was mit der Haltung zu tun, die dahinter steckt. Ich rätsele: vielleicht sind sie lässiger. Und wir (Deutsche) haben so viele große Vorbilder. Wir sind angestrengter. Wollen es richtig machen. Das ist ein enormer Hemmschuh!
In unserer Pädagogik z.B. steckt wesentlich weniger Ermutigung als in der amerikanischen. und dennoch: ich möchte nicht tauschen!
Ich bin nicht lässig. Ich bin nicht wirklich mutig. Das merke ich beim Schreiben immer wieder. Aber ich kann trotzdem Menschen erreichen. Nicht eine Million, vielleicht nicht einmal Tausend. Aber den einen, die andere, die kann ich berühren, erheitern, stärken oder auch innehalten lassen.
Ich selbst fühle auch, ob es einigermaßen  gut ist. Mittlerweile jedenfalls.
Und dann vergesse ich es wieder, sogar ab und an, dass ich es überhaupt geschrieben habe. 


Gruß Margit


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Re: Schreiben wie...kann ich nicht, also will ich auch nicht

Beitragvon lupola » Mo 7. Nov 2022, 10:19  


Hallo Margit,

Ich habe Maarten t'Haart immer sehr gerne gelesen. Cees Noteboom oder Margriet de Moor sind auch bei uns relativ bekannt. 
Gerbrand Baaker wohnt jetzt in der Eifel, bleibt aber hoffentlich seinem Schreibstil treu....

Die fallen mir spontan ein, aber es gibt etliche andere.

Die Amerikaner, die wirken tatsächlich gelassener. Bei den Briten bin ich mir nicht immer so sicher, aber da ist die Beschreibung des Alltäglichen (oder auch Besonderen) natürlich auch eine völlig andere. Ich dachte immer, vielleicht liegt es an der Sprache. Im Angelsächsischen gibt es seit langem die Tendenz zum "Plain Englisch", soll heißen: Je einfacher, desto besser. Und  bei den Niederländern hatte ich immer den Eindruck, die schreiben so, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist.

Auch nicht schlecht sind einige flämische Autoren, zuweilen  findet man dort einen ganz besonderen, hintersinnigen Humor - nicht so dieses "ach was bin ich so lustig!". Muss man aber eben mögen, sonst macht das Lesen keinen Spaß.

Trotz allem Nachdenkens: Viel Spaß beim Schreiben!

Schönen Tag noch
Peter
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