Hier meine "großen" Vorbilder seit ein paar Jahren:
Zum Niederknien schreibt Lucia Berlin, die mit Geburtsnamen Lucia Brown und verheiratet u.a. Lucia Newton hieß. Je nach Ehemann und Lebenssituation.
Wieso begeistert mich ihr Schreibstil? Ich kann es nicht einmal sagen, habe lange nichts von ihr gelesen. „Was ich sonst so verpasst habe“ war mein letztes Buch von ihr. Ihre Kurzgeschichten wiederholen das ewige Thema des Kampfes einer Frau gegen Übermüdung, zu viel Arbeit, die Versorgung von vier Söhnen, mehr oder minder ganz allein, denn die Ehemänner waren fort, nahmen Drogen, lebten in der Jazzszene, deren Familienfreundlichkeit nicht gerade legendär ist.
Lucia Berlin, von Kind an nicht gesund und mit erheblichen Atemproblemen, schlug sich als Putzfrau durch, als Pflegerin und Aushilfslehrerin und gab kurz vor ihrem Tod beliebte Kurse in creative writing an der Uni in Boulder, Colorado.
Sie schreibt nicht blumig, romantisch, ausschweifend. Aber wie schreibt sie? An unspektakulären Orten, an denen auch wir uns aufhalten. Sie schreibt voller Mitgefühl – ganz ungerührt - über Liebe und Gewalt, Fremdsein und Zusammengehören, Armut und Reichtum. Sie tut das lakonisch und dezent, malt melancholische Bilder von Brüchen in Frauenleben.
Sie schreibt, obwohl sie gebrechlich und krank, alkoholabhängig, überarbeitet und arm ist – und niemals wehleidig.
Zwischendurch waren ihre wenigen Bücher unbekannt. Manche sind nicht ins Deutsche übersetzt worden. Ich möchte schreiben können wie sie, ohne diese Verzweiflung zu spüren, ohne zu leben wie sie. Ihre Beobachtungsgabe, ihre Fähigkeit, menschliches Leben konzentriert auf wenig Worte einzudampfen, die hätte ich gerne.
Aber: Ich möchte nicht mit ihr tauschen. Sie wurde nur so alt wie ich. Sie starb 2004 auf ihrem 68. Geburtstag bei Los Angeles.
Monika Helfer ist für mich ebenfalls ein Genie der Atmosphäre. Ich glaube, den Tipp habe ich Elke gegeben. Vor zwei Jahren hörte ich ein Interview mit ihr im Radio, auf Bayern 2. Von da nehme ich häufig und reichlich Anregungen und Impulse mit. So auch bei dieser Autorin aus Österreich, aus dem Bregenzerwald, die auch Theaterstücke und Hörspiele schreibt.
Ich war beeindruckt von der sanften, tiefen Stimme, die mir sehr verhalten und besonnen, aber auch ungewöhnlich sinnlich und selbstgewiss vorkam.
Ihre Bücher handeln von Liebe und ihrem Ende, von Verwicklung und Fürsorge, dem Wunsch nach einem ganz eigenen Leben und vom Scheitern, vom Verlust. Sie tut das ein wenig spiralig, mit Wiederholungen, die niemals langweilig sind. Es ist eher wie bei der Musik: sie greift ja auch immer wieder das Thema, Motiv auf. Menschen werden vor ungewöhnliche, extrem herausfordernde Situationen gestellt, integrieren in ihr Leben das Nicht-Konforme und lieben, sorgen, schreiben weiter. Es geht, mehr noch als bei Lucia Berlin, eindeutig immer um Monika Helfers Leben bzw. dem ihrer Familie, ihrer Großeltern, Eltern, Geschwister und Kinder.
Durchzogen sind die Geschichten von dem Verlust nahestehender Menschen: der Mutter, des Bruders, der eigenen Tochter. Unaushaltbarer Schmerz wird in Worte gehüllt, mit Worten auf Distanz gehalten, mit Sprache gebändigt. Ich glaube, ich habe alle Bücher von ihr gelesen und hoffe auf weitere.
Schreiben wie sie kommt mir unerreichbar vor. Sie hat etwas zu erzählen, eine ungewöhnliche Biografie. Das prägt ihre Bücher.
Ich würde mir gerne ihre unaufgeregte und dabei sinnliche Distanziertheit abschauen und ihre Fähigkeit, trotz aller privaten Mühen und Kümmernisse, dem drängenden Bedürfnis nach Schreiben uneingeschränkt nachzugehen.
Dörte Hansen, Mariana Leky – wir haben schon häufiger über sie gesprochen. An Dörte Hansen zieht mich die Stimmung des Nördlichen, Seewindgehärteten. Sie spürt und benennt wunderbar, was Menschen bewegt, was sie verbindet und trennt, was sie verbergen und was sie nicht einmal wissen wollen. Ich mag ihre reife, urteilsfreie Art. „Zur See“ habe ich mir schon zweimal gekauft und gleich wieder verschenken müssen, also noch nicht selbst gelesen.
Mariana Lekys „Kummer aller Art“ liegt neben meinem Bett. Während ich mich durch Florian Illies` “Die Liebe in Zeiten des Hasses“ wundere, schiele ich schon zu ihr hin. Sie weiß, wie Menschsein sich anfühlt und wirkt dabei ebenso mit den Jüngeren verbunden, die sich noch ins Leben hineinschleifen wie sie sich auch in die Älteren einfühlen kann. Sie vermag es wunderbar zu beschreiben, ihre Sprache liest sich lebendig und warmherzig.
Von beiden Schriftstellerinnen werde ich alles lesen, was ich in die Finger bekomme – und ich werde ihre Bücher immer wieder verschenken.
Von Elizabeth Strout habe ich auch schon genug erzählt. Es ist wunderbar, mit dieser Schriftstellerin (annähernd mein Alter) älter zu werden. Alles Scheitern, Bemühen, Durchwursteln und Gelingen ist in ihren Geschichten enthalten. Dramen ja, aber keine Effekte, keine billigen Gefühle, nicht zu viele Worte.
Die wiederkehrenden Figuren, die sich durch die unterschiedlichen Geschichten ziehen, die miteinander verwoben werden, sind plastisch und man freut sich, wieder von ihnen zu lesen.
So zum Beispiel von Olive Knitteridge, die sicher schon die siebzig überschritten hat. E. Strout hat mit ihr eine Serie geschaffen, die ich gerne rein formal nachahmen würde: Kurzgeschichten, die sich aufeinander beziehen und miteinander verflechten, in denen aus Nebenwollen Hauptfiguren werden und umgekehrt. Ich empfehle auch die Amgash-Reihe, deren letztes Buch noch nicht ins Deutsche übersetzt worden ist.
All diese Autorinnen haben etwas zu erzählen. Wie sie das machen, da kann einem schon mal der Mut schwinden. Nachahmen kann und will ich sie nicht, nicht ihren unverkennbaren Stil, nicht ihre Schreibdisziplin, nicht ihr rein strukturelles Können (es muss doch immer stimmig sein – was für ein Aufwand!). Aber ich kann mich inspirieren, berühren und mitnehmen lassen.
Wobei immer die Frage ist: braucht’s noch was Geschriebenes von mir? Eher nicht.
Vielleicht muss die Frage aber lauten: was habe ich zu erzählen? Und wie lasse ich aus den Lebensberichten Erkenntnis, Distanz, Lebenshaltung und das Verhältnis zu meinen Mitmenschen herausstrahlen?
Dann kann ich –vielleicht – etwas schaffen, das anderen erlaubt, ihre Nase in „meine Angelegenheiten“ zu stecken und für sich selbst etwas daraus zu ziehen.