von Luise » Fr 28. Jun 2019, 16:35
Der Mauerfall, der als unblutige Revolution in die Geschichte eingegangen ist, hat das gespaltene Deutschland geeint und Familien zusammengeführt, aber vielen Menschen auch die Arbeitslosigkeit beschert. So auch meiner Protagonistin Anna, die auf der Suche nach einer Anstellung im Rheinland landet. Als waschechte Berlinerin hat sie Probleme mit der Mentalität der Rheinländer. Sie findet keine Anstellung als studierte Ingenieur-Ökonomin und nimmt einen Job im Verlagswesen in Düsseldorf an. Ihr Chef, acht Jahre Jünger als sie, macht ihr Avancen, und als sie nicht darauf eingeht, macht er ihr das Leben zur Hölle.
Auf einer Wandertour lernt Anna den Witwer Erwin kennen und lieben. Sie heiraten und Anna zieht in sein Haus aufs Dorf, das auf keiner Karte zu finden ist. Die Dorfbewohner sind argwöhnisch der Hauptstädterin gegenüber. Anna bemüht sich, an den Aktivitäten im Dorf teilzunehmen, um so schnell wie möglich integriert zu werden. Sie tritt, noch berufstätig, dem Hausfrauenverein bei und wird Mitglied des Kegelclubs „Ohne ihn“. Anna belastet das Haus, wo in allen Räumen der Geruch ihrer Vorgängerin haftet und die Einrichtung ganz und gar nicht ihrem Geschmack entspricht.
Das Dorf muss dem Bagger des Kohletagebaus weichen, und die Phase des Unwohlseins ist mit dem Hausneubau beendet.
Erwin und Anna sind Kriegskinder und in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen. Als ungeliebtes Kind einer Mutter, die mit 26 Jahren verwitwet ist, durchlebt Anna eine entbehrungsreiche Kindheit mit einer vier Jahre jüngeren verhassten Schwester an ihrer Seite. Von ihrem Onkel wird sie jahrelang missbraucht und ohne Beistand oder Hilfe muss sie sich durchs Leben kämpfen. Ihr fast krankhafter Ehrgeiz hilft ihr, aus dem Hinterhofmilieu herauszukommen, ihre Gier aber nach ein wenig Liebe und Anerkennung zieht sich durch ihr gesamtes Leben. Dass sie ein gestörtes Verhältnis zur Sexualität hat, umschifft sie in ihren wenigen Beziehungen bravourös. Erwin, ein fürsorglicher, rücksichtsvoller Ehemann, registriert einige Besonderheiten in Annas Verhalten, ohne nach Gründen zu forschen. Nach einem Motorradunfall ist Erwin an den Rollstuhl gefesselt, und sie müssen sich auf die tiefgreifenden Einschnitte einstellen.
Eine dreitägige Kegeltour auf einem Rhein-Kreuzfahrtschiff der holländischen Seerederei bedeutet für Anna nicht unbedingt ein Vergnügen. Der Kapitän Ruud van Dam ist von der Person Anna beeindruckt und sucht ihre Nähe, soweit das unter den Augen der Passagiere überhaupt möglich ist. Er weckt in ihr angenehme Kindheitserinnerungen, und sie ist an einer Vertiefung der Bekanntschaft nicht abgeneigt. Obwohl beide verheiratet und Anna bedeutend älter als Ruud ist, entwickelt sich eine über Jahre andauernde Liaison mit allen Höhen und Tiefen. Annas Leidensweg ist vorprogrammiert und gepflastert mit Gewissensbissen, Unaufrichtigkeit, und immer wieder Lügen aneinandergereiht wie Perlen auf der Schnur, um den häuslichen Pflichten für kurze Zeit zu entfliehen. Ruud ist ein wunderbarer Liebhaber und Anna erfährt, wie erfüllend und beglückend Sex sein kann.
Eine Liaison reduziert die wenigen Treffen auf Sex, weil es an Zeit und Gelegenheit mangelt, anderweitige Aktivitäten gemeinsam zu erleben. Es gibt in einer derartigen Beziehung keinen Alltag mit einer defekten Waschmaschine, nur ständige Angst, entdeckt zu werden. Ruuds Frau Pauline ist krankhaft eifersüchtig und hinter jeder mehrmals auftauchenden Telefonnummer vermutet sie eine Frau, mit der ihr Mann sie betrügt. Im Falle Anna hat sie sogar Recht und es ist Anna selber, die sie von der Harmlosigkeit der Anrufe überzeugt. Da Ruud und Anna unter keinen Umständen ihre Ehe gefährden wollen, heißt das, in jeder Hinsicht Vorsicht walten zu lassen.
Annas Tochter Katharina, kurz Kati genannt, arbeitet als Maskenbildnerin an der Oper Düsseldorf. Der Zufall will es, dass Anna am „Tag der offenen Tür“, wo sie Kati beim Kinderschminken unter die Arme greift, Laura, die Tochter von Ruud und Pauline, kennen lernt, denn zeitgleich findet im Haus ein Casting für Jazz Dance statt,und die 12-jährige Laura will diese Chance nutzen, um vorzutanzen. Ihr sehnlichster Wunsch ist es, Tänzerin zu werden. Angereist ist sie per Anhalter ohne Wissen der Eltern. Laura überzeugt mit ihrer Tanzdarbietung Herrn Lankowisz, Tanzpädagoge und Choreograf, und mit ihrer Annahme für die Ausbildung zur Jazztänzerin beginnen die eigentlichen Probleme. Die schriftliche Einwilligung eines Elternteils muss beigebracht werden und die Hin- und Rückfahrten müssen organisiert werden. Unter dem Siegel der absoluten Verschwiegenheit erklärt sich Anna bereit, den Abhol- und Bringedienst zu übernehmen. Es bleibt nicht aus, dass sich zwischen Laura und Anna ein sehr inniges Verhältnis entwickelt und Laura vertraut Anna Dinge an, für die eigentlich Lauras Mutter zuständig ist. Dadurch erfährt aber Anna, ohne Laura auszufragen, was sich im Hause van Dam abspielt.
Ruud überrascht Anna mit einer Mietwohnung in Kaldenkirchen, einer kleinen Ortschaft kurz vor der holländischen Grenze. Ihr kleines Liebesnest nimmt ihnen einen Teil der Angst, entdeckt zu werden. Für Anna ist es ein Liebesbeweis und in ihrer Glückseligkeit registriert sie überhaupt nicht, dass die zeitliche Distanz von einem Treffen zum anderen immer größer wird. Da Ruud die Miete immer für einen längeren Zeitraum im Voraus bezahlt, wird Anna in keiner Weise argwöhnisch. Sie vertraut ihm. Irgendwann gibt es ein böses Erwachen.
Als Kati ein Angebot aus Breda in Holland erhält, Models in die vier Jahreszeiten zu verwandeln, begleitet Anna Kati und nutzt die Wartezeit, um sich Amsterdam anzuschauen und Ruud zu treffen, denn die „Othello“ liegt wegen einer Reparatur im Hafen von Amsterdam. Ruud muss aber zu seinem Leidwesen absagen, weil die Anwesenheit des Kapitäns erforderlich ist. Er bittet seinen Freund Jan, der von seiner Liaison weiß, einzuspringen und Anna bei ihrem Rundgang zu begleiten. Auf diese Weise lernt Anna Jan kennen, der kein Wort darüber verlauten lässt, dass das Treffen kein Zufall ist. Sie besuchen das Rijksmuseum, ein Pannenkoekenhuis und ein Teehaus, Jan, unverheiratet, ist begeistert von Anna und er muss Ruud zugestehen, dass er bei der Schilderung von Anna nicht übertrieben hat. Er bittet sie um ein weiteres Treffen. Anna lehnt kategorisch ab mit der Begründung, ein Liebhaber würde ihr genügen. Trotzdem gibt er Anna die Telefonnummer mit der Bitte, sie möge sich doch melden wenn sie wieder in Holland ist.