Hallo Strava,
das hat schon viel Spannendes.
Mir scheint sogar, dass du den Spannungsbogen clever im Auge behalten hast – so oft, wie hier die Geschichte haken schlägt und mit Überraschungen aufwarten kann.
Doch zunächst einmal: wo sollen wir sie hinstecken? Ich rede jetzt vom Genre. Ist es ein Psycho, ist es ein Thriller, eine mystische Geschichte, Grusel, Zombie? Mich würde interessieren, welchen Schwerpunkt du einschlagen willst.
Im Kommenden werden wir uns noch mit der Figur, also mit Saja, beschäftigen.
Dabei stellt sich die Frage: ist es eine Action-Geschichte? Dann liegt der Schwerpunkt eher auf der
Handlung, den bedrohlichen und mysteriösen Begebenheiten hier.
Anders wäre es, wenn eine oder mehrere Figuren geläutert werden müssten. Wenn du deine Saja zu Beginn beim Therapeuten zeigst, hat es doch den Anschein, dass sie sich verändern will. Dieses Moment ist dir zum Ende vllt verloren gegangen.
Noch etwas:
1. Die Medizinstudentin Saja hat die Gabe Bilder aus der Vergangenheit zu sehen, sobald sie daran beteiligte Objekte oder Personen berührt. Sie kann mit dieser Gabe nicht umgehen und sie auch nicht kontrollieren, sodass sie deswegen bei einem Psychiater in Behandlung ist. Niemand ausser diesen beiden Personen weiß von der Gabe.
Sie ist zusammen mit ihrer Freundin Elsa als Assistenzärztin in einem Krankenhaus tätig. Bei einer OP wird sie mit den Bildern der Gewalttaten eines Patienten konfrontiert und bricht fast zusammen.
Zuhause will sie ihrem Freund erzählen, dass sie einen gemeinsamen Urlaub in einer Villa in der Toskana gebucht hat. Beim Liebesakt sieht sie jedoch Bilder wie er sie mit einer Frau betrügt. Aufgelöst verlässt sie seine Wohnung und entschließt sich stattdessen mit ihrer Freund Elsa nach Italien zu fahren.
Hier muss ich gleich Fragen zu der Figur stellen.
Wir werden uns im Folgenden noch mit der Figur beschäftigen, aber mir zwingt sich doch die Frage auf, wie Saja bis hierher hat funktionieren können, wenn die Gabe ihr nun scheinbar das Genick bricht.
Einerseits ist es spannend, dass sie diese Gabe hat, und damit hast du auch gleich die Leser gefesselt, andererseits steht sie selbst vor dem Rätsel, wie es dazu gekommen ist. In meinem Kopf vollzieht sich ein Planspiel: Was wäre, wenn Saja die Gabe hat und zwar voll steuerbar und einsetzbar? Es liest sich nämlich für mich wie ein Märchen, wobei eine Figur phantastische Züge hat, die aber der Realitätsprüfung nicht haben stand halten können und der Autor daher die Gabe dergestalt abschmälert, dass die Figur selbst nicht mehr weiß, wie es dazu gekommen ist. Da ergreife ich gerne Partie für die Leserschaft und möchte dich ermuntern, die Fiktion selbstbewusster anzugehen und – was die Gabe betrifft – stärker aus den Vollen zu schöpfen.
Auch das übrige Personal: Der Freund, der sie betrügt, die beste Freundin, inklusive Zickenalarm, ist zu nah am Alltag geschrieben. Ich mag das als Kontrast zu dem Dämonenhaften, welches die Annora verkörpert und deren Eltern, aber dann sind wir wieder beim Horror-Genre, denn da werden gerne Alltäglichkeiten besonders banal ausgeschmückt, damit der Horror dann voll zuschlagen und die Nackenhaare der Leserschaft hochstellen kann.
Nun noch etwas für dich auf die To-do:
Schau dir den Anfang und das Ende deines Werkes an.
Hier vermisse ich Kohärenz. Deine Figur treibt dieses Thema um: „Kann Saja mittels ihrer Gabe die Geheimnisse der Villa aufklären?“ – sie braucht dann aber auch lange, bis die Story unter dem Aspekt ins Rollen kommt. Auch hier wäre eine Analogie zu einem Horrorstück denkbar: die Figur lebt in einer banalen Alltagswelt, aber man weiß schon, dass gleich der Horror ausbricht. Also arbeite entweder genau solch einen Kontrast heraus (dann dürfte von ihrer Gabe hier noch nichts zu lesen sein, sondern erst bei dem „Anstoß“, aber zur Dramaturgie kommen wir noch) oder schlage gleich die Brücke zur Villa.
Ich würde auch den „Zickenalarm“ noch abmildern, bzw. mir da weniger klischeehafte Umgangsformen ausdenken, wie auch das „Fremdgehen“ nicht so stark thematisieren. Oder auch hier ein Schippchen drauflegen: lass den Freund doch polyamor werden. Ich suche ja immer nach Dingen, die die Leser aus ihrem Alltag nicht kennen, so dass sie bereit sind, ein paar Euros für das fertige Werk zu investieren. Da ist also, in dieser Hinsicht, noch ein bisschen Denkarbeit vonnöten.
Aber bis hierher ist es ja auch schon beträchtlich und spannend.
Herzliche Grüße,
schickt dir Elke