Das Geschenk - überarbeitet von Chira Geschichte lesenStrahlend blau zog der Himmel sich über den in sattem Grün leuchtenden Park. Vogelgesang erfüllte die Luft. Die Decke unter einer knorrigen Buche ausgebreitet, genoss Daniel die Wärme der Sonnenstrahlen, die sich ihren Weg durch das dichter werdende Blätterdach gebahnt hatten. Gelächter anderer Menschen, die sich zu Picknick und Spiel getroffen hatten, drang an sein Ohr, wurde nur noch überlagert vom ausgelassenen Johlen tobender Kinder. Es war einer dieser herrlichen Sommertage, an denen das Leben so leicht wirkte.
Sein Blick wanderte zu Eva, die ihrem Sohn liebevoll über den strubbeligen Haarschopf fuhr. Selbst die fahlen Augenringe, Zeichen ihrer Erschöpfung, vermochten nichts von der ihr eigenen Eleganz zu nehmen. Ein leichtes Lächeln umspielte seine Mundwinkel als er seine Frau und ihr gemeinsames Kind zusammen beobachtete. Vielleicht, dachte Daniel, würden sie von vorbeilaufenden Menschen für eine ganz gewöhnliche Familie gehalten werden. Doch das Gewöhnliche, stellte Daniel fest, blieb für sie häufig nur ein ferner Traum.
„Hier, Jonathan, fang!" Der Ball flog durch die Luft. Fasziniert verfolgte Daniel die elliptische Flugbahn, bis der Ball schließlich mit einem dumpfen Plum auf dem Rasen landete. Sein Sohn zeigte keinerlei Regung, rupfte stattdessen weiter Grasbüschel aus, die er in seinen Mund steckte.
Daniels Gedanken indes kreisten zurück zu dem ewig gleichen Gedankenspiel aus Was-wäre-wenn-Fragen. Nur ein einziger Augenblick, eine Sekunde, die, wäre sie anders verlaufen, ihr Leben grundlegend verändert hätte. Wie oft hatte Daniel diese Frage in seinem Kopf gewälzt, vorwärts und rückwärts betrachtet, um sich gleich darauf mit schmerzhaften Schuldgefühlen zu geißeln. Nur eine einzige Sekunde.
Es war ein heller Sommertag gewesen, damals im Juli vor einer halben Ewigkeit. Die Stadt ächzte unter der drückenden Schwüle. Schweißnass, seine Reisetasche über der Schulter, sprintete Daniel durch die Bahnhofshalle, dabei unbedacht im Weg stehenden Menschen mit Rollkoffern ausweichend. Er flog um die Ecke auf das Gleis, rannte atemlos, die ersehnte Tür vor Augen, erreichte diese jedoch nie. In jenem Moment nämlich setzte sich der Zug in Bewegung. Ungläubig, ja fassungslos, starrte Daniel auf den sich entfernenden Zug, spürte seinen rasenden Puls und den peitschenden Atem. Es war alles umsonst. Gerade fuhr sie davon – die Chance seines Lebens. Wie elektrisiert hatte er zuvor zwischen Unglaube und Jubel schwankend die Einladung zum Vorstellungsgespräch der Agentur Breuner & Krahl in Händen gehalten, den Beginn seiner vielversprechenden Karriere bereits in den buntesten Farben vor Augen. Nun, war all das in nur einem Augenblick, einer verfluchten Sekunde, verronnen. In dieser Branche gab es die eine Chance oder keine. Verdammt!
Voller Enttäuschung schleuderte Daniel seine Tasche auf die Steinplatten.
„Hey!", hörte er eine entrüstete Stimme neben sich, „geht's noch?"Er drehte sich um und sah sich weit aufgerissenen Augen unter einem blonden Pony gegenüber. In der Hand hielt die junge Frau mit den vor Empörung geröteten Wangen einen leeren Pappbecher. Daniel war sofort fasziniert. Den riesigen, braunen Fleck auf ihrem ansonsten strahlend weißen Sommerkleid bemerkte er erst später.<...